Sonntag, Februar 26, 2006

Tales of the city

Ein paar Minuten später stand Michael vor der Tür, in der einen Hand den Scheck für die Miete, in der anderen Boris.
"Ich hab ihn auf dem Fenstersims entdeckt", sagte er. "Er hat leicht selbstmordgefährdet ausgesehen."
Die Vermieterin schaute die Tigerkatze finster an. "Wohl eher mordsgefährlich. Er war wieder hinter den Vögeln her. Läßt du ihn bitte runter, mein Lieber? Ich kann es nicht ausstehen, wenn sein Atem nach Eichelhäher riecht."
Michael ließ die Katze los und reichte Mrs. Madrigal den Scheck. "Tut mir leid wegen der Verspätung. Wieder mal."
Sie tat seine Bewegung mit einer Handbewegung ab und steckte den Scheck hastig in ein halb gelesenes Buch mit Geschichten von Eudora Welty. Sie fand es gräßlich, mit ihren Kindern über Geld zu reden. "Ach so", sagte sie, "was machen wir mit Mary Anns Geburtstag?"
Michael zuckte zusammen. "Oh Gott. Ist es schon soweit?"
Mrs. Madrigal lächelte. "Nach meiner Rechnung nächsten Dienstag."
"Sie wird doch dreißig, oder?" Michaels Augen glitzerten diabolisch.
"Wie sollten das wohl besser nicht betonen, mein Lieber."
"Erwarten Sie von mir nicht, daß ich mich gnädig zurückhalte", sagte Michael. "Mit meinem Dreißigsten hat sie mich voriges Jahr erbarmungslos getriezt. Außerdem ist sie hier im Haus die letzte, die über die große Schwelle tritt. Da ist es nur normal, wenn wir das Ereignis gebührend feiern."
Mrs. Madrigal warf im ihren "Du ungezogener Junge!"- Blick zu und ließ sich in den Lehnstuhl am Kamin sinken.
Boris witterte eine neue Chance, sich malerisch in Szene zu setzen, sprang auf ihren Schoß und blinzelte träge ins Feuer.
"Kann ich dich für einen Joint interessieren?" fragte die Vermieterin. Michael schüttelte lächelnd den Kopf. "Danke. Ich komm so schon zu spät zur Arbeit."
Sie lächelte ebenfalls. "Dann grüß Ned schön von mir. Dein neuer Haarschnitt sieht übrigens toll aus."
"Danke", sagte Michael strahlend und wurde leicht rot.
"Es gefällt mir, wenn man deine Ohren sieht. Du wirkst dann richtig jungenhaft. Gar nicht so, als wärst du schon jenseits der großen Schwelle."
Michael bedankte sich mit einer kleinen eleganten Verbeugung.
"Los jetzt", sagte die Vermieterin. "Laß tausend Blumen blühen."