Dienstag, Mai 16, 2006

Yousana-wo-bi-räbidäbi-dé?

Peter Panther, Vossische Zeitung 558, 25.11.1928

Fremde Sprachen sind schön, wenn man sie nicht versteht.
Ich habe einmal den großen J.V. Jensen gefragt, wie er es denn gemacht habe, um Asien uns so nahe zu bringen wie zum Beispiel in den "Exotischen Novellen" - und ob er lange Chinesisch gelernt habe... "Ich reise so gern in China", sagte Jensen, "weil da die Leute mit ihrer Sprache nicht stören! Ich verstehe kein Wort." Hat recht, der Mann.
Fremde Sprachen sind schön, wenn man sie nicht versteht. Ein Wirbel wilder Silben fliegt uns um den Kopf, und Gott allein, sowie der, der sie ausgesprochen hat, mögen im Augenblick wissen, was da los ist. Wie nervenberuhigend ist es, wenn man nicht weiß, was die Leute wollen! "Da möchte man weit kommen", hat der weiseste Mann dieses Jahrhunderts gesagt, "wenn man möcht zuhören, was der andere sagt!" Im fremden Land darf man zuhören, es kostet gar nichts - höflich geneigten Kopfes läßt man den Partner ausreden, wie selten ist das auf der Welt! Und wenn er sich ganz ausgegeben hat, dann sagst du, mit einer vagen Handbewegung: "Ich - leider - taubstumm und... kein Wort von dem, was Sie da erzählen...!" Das ist immer hübsch, es ist ausgezeichnet für die Gesundheit.
Nun ist das auf der ganzen Welt so, daß die Leute, wenn man sie nicht versteht, schön laut mit einem reden; sie glauben, durch ein Plus an vox humana die fehlenden Vokabelkenntnisse der andern Seite zu ersetzen... Und wenn du klug bist, läßt du ihn schreien.
Schön ist das, in einem fremden Land zu reisen, und auf fremdländisch grade "Bitte!", "Danke!" und "Einschreibepaket!" sagen zu können - gewöhnlich ist unser einziges Wort eines, das wir auf der ganzen Reise nicht verwenden. Das mit dem Lexikon und den Sprachführern habe ich längst aufgegeben. Sagt man nämlich solch einen Satz den fremden Männern, so ist es, wie wenn die mit einer Nadel angepiekt seien - der fremde Sprachquell sprudelt nur so aus ihnen heraus, und das steht dann wieder im Sprachführer nicht drin... Aber wie schön, wenn man nichts versteht!
Was mögen die Leute da alles sagen! Was können sie denn schon alles sagen?
Du hörst nicht, daß da zwei Männer sich eine sehr wichtige Sache wegen der Übernahme der Aktienmajorität des Streichholz-Trustes erzählen, und dann eine Wohnnungsschiebung, und dann einen unanständigen Witz (alt! alt!) - und dann Gutes über eine Frau, die sie beide nicht haben wollen, und dann Schlechtes über eine, die sie nicht bekommen konnten: das brauchst du alles nicht mitanzuhören. Der kleine Kellner auf dem Bahnhof ruft etwas aus, was wahrscheinlich nicht einmal die Einheimischen verstehen, und daß er mäßiges Obst verkaufen will, siehst du alleine. Sanfte Träumerei umspinnt dich - was mögen diese wirren, ineinandergekapselten, schnell herausgekollerten, halb herunterschluckten Laute nur alles bedeuten...! Andere Kehlköpfe müssen das sein - andere Nasen - andere Stimmbänder - es ist wie im Märchen und was du auf der Schule gelernt hast, hilft dir nicht, weil diese das offenbar nicht oder falsch gelernt haben; und ist es nicht schön, wie ein sanfter Trottel durch die Welt dahinzu...
"Na, erlauben Sie mal! Wenn ich auf Reisen bin, da will ich aber ganz genau wissen, was los ist; man muß als gebildeter Mensch doch wenigstens etwas verstehen!" Es ist so verschieden im menschlichen Leben...
Im Irrgarten der Sprache herumzutaumeln... das ist nicht eben vom Übel. "Schööör scheeh Ssä Reeh!" rufen die Franzosen; laß sie rufen. "Tuh hau wi paak" gurgeln die Engländer; laß sie gurgeln. Und ich frage mich nur, was mögen wohl die Ausländer in Deutschland hören, mit ihren Ohren, wenn unsere Bahnhofsportiers, Schutzleute, Hotelmenschen ihnen etwas Deutsches sagen...?
Es ist ein kleines bißchen unheimlich, mit Menschen zu sprechen, ohne mit ihnen zu sprechen. Da merkt man erst, was für ein eminent pazifistisches Ding die Sprache ist; wenn sie nicht funktioniert, dann wacht im Menschen der Urkerl auf, der Wilde, der da unten schlummert; eine leise Angstwolke zieht vorüber, Furcht und dann ein Hauch von Haß: was ist das überhaupt für einer? ein Fremder? Was will der hier? Und wenn er hier selbst was zu wollen hat: was kann ich an ihm verdienen? Und besonders auf den Straßen, vor den Leuten, die nicht gewerbsmäßig mit Fremden zu tun haben, fühlt man sich ein bißchen wie ein im Urwald auftauchender Wolf - huhu, Geheul unter den hohen Bäumen, der Wanderer faßt den Knüppel fester... und nur wenns gut geht, fuchteln sie dann mit den Händen.
Sonst aber ist es hübsch, durch eine Welt zu wandeln, die uns nicht versteht, eine, die wir nicht verstehen - eine deren Laute nur in der Form von: "Yousana-wo-bi-räbidäbi-dé" an unser Ohr dringen... Mißverständnisse sind nicht möglich, weil die gemeinsame Planke fehlt - es ist eine saubere, grundehrliche Situation. Denn wie sprechen Menschen mit Menschen?
Aneinander vorbei.

19 Comments:

Blogger Andrea said...

dr.W.
Hoffentlich bekommst Du davon keine Einschlafstörungen ;-)

Mi. Mai 17, 06:43:00 AM  
Blogger Andrea said...

Dr.W.
Tucholsky als Schlummerhörbuch? Da wird das Unterbewusstsein aber in der REM-Phase heftig arbeiten ;-)

Mi. Mai 17, 10:12:00 PM  
Blogger Jeanne said...

mit podcasts bin ich leider überfordert, ich weiß so ungefähr was das ist, das wars dann aber auch ;-(

Do. Mai 18, 10:22:00 PM  
Blogger Andrea said...

Habe mir gestern vorgestellt, meine Kollegen würden eine andere Sprache sprechen und ich kein Wort verstehen. Das war ein richtig entspannter Arbeitstag :-)

Fr. Mai 19, 03:50:00 PM  
Blogger Andrea said...

Jeanne?
Sprichst Du meine Sprache?

Fr. Mai 19, 11:16:00 PM  
Blogger Jeanne said...

@Andrea:
ja, ich denke manchmal :-)

Sa. Mai 20, 04:06:00 AM  
Blogger Andrea said...

@jeanne
Dann müßte man sich nun echt fragen, ob das positiv oder negativ ist. In den Zeiten, in denen wir nicht die gleiche Sprache sprechen, müßten wir uns eigentlich besser verstehen, oder? *grübel*

Sa. Mai 20, 10:02:00 AM  
Blogger Jeanne said...

Ich sehe es eher als Vorteil, wenn man sich auch mal ohne Worte versteht...

Sa. Mai 20, 08:04:00 PM  
Blogger Andrea said...

@jeanne
Da stimme ich Dir zu! Aber benötigt man für einen non-verbalen Dialog nicht eine gemeinsame Basis?

So. Mai 21, 08:31:00 AM  
Blogger Andrea said...

@Dr.W.
Etwas düster, oder?

So. Mai 21, 08:36:00 AM  
Blogger Jeanne said...

Sooo nonverbal ist es ja nun auch wieder nicht...

So. Mai 21, 09:54:00 AM  
Blogger Andrea said...

@jeanne
Da sprechen wir gerade doch glatt wieder unterschiedliche Sprachen ;-))

So. Mai 21, 10:38:00 AM  
Blogger Andrea said...

@dr.w
Schweigen kann aber auch heiter und sonnig sein!

So. Mai 21, 10:41:00 AM  
Blogger Jeanne said...

genau...;-)

So. Mai 21, 06:34:00 PM  
Blogger Andrea said...

Werden hier jetzt kommunikative Häppchen gereicht?
Da muss ich dann für heute passen - bin schon satt ;-)

Mo. Mai 22, 07:19:00 PM  
Blogger Andrea said...

...ohne Worte

Mi. Mai 24, 07:17:00 PM  
Blogger Jeanne said...

...ja, jetzt schon...

Mi. Mai 24, 07:45:00 PM  
Blogger Andrea said...

@dr.W.
Jeanne kommt doch immer erst am Abend!

Do. Mai 25, 02:03:00 PM  
Blogger Jeanne said...

...nein, die Küche ist jetzt leider schon geschlossen....
hab noch eine Tomate und etwas Parmesan im Kühlschrank- achja und 2 Joghurts, von denen könntest Du einen abhaben :-)

Do. Mai 25, 10:38:00 PM  

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