Montag, Februar 27, 2006

Fortsetzung folgt...

Die Valentinskarte war ein selbstgemachter Mischmasch aus viktorianischen Engelsköpfen mit Flügeln, gepreßten Blumen und rotem Flitter. Mary Ann Singleton warf einen Blick darauf und quietschte vor Freude.
"Mouse! Die ja vielleicht toll. Wo hast du nur diese entzückenden kleinen...?"
"Mach sie mal auf." Michael grinste.
Als sie die illustriertengroße Karte aufklapppte, sah sie eine Inschrift in Jugendstil- Lettern: MEINE GUTEN VORSÄTZE ZUM VALENTINSTAG. Darunter folgten zehn numerierte Leerzeilen.
"Siehst du", sagte Michael, "du sollst selber was reinschreiben."
Mary Ann beugte sich zu ihm hinüber und gab ihm ein Küßchen auf die Wange. "Bin ich denn so verkorkst?"
"Und ob. Ich verschwende meine Zeit doch nicht mit Leuten, die alles auf der Reihe haben. Willst du mal meine Liste sehen?"
"Verwechselst du da nicht was mit Neujahr?"
"Ach, das ist doch Kleinkram. Rauchen- Essen- Trinken- Vorsätze."
Er griff in die Tasche seines karierten Flanellhemdes und gab ihr ein Blatt Papier:

Michael Tollivers dreckige Dreissig für 1977

1. Ich werde von keinem sagen, daß er eine "Nellie" oder "butch" ist,wenn er nicht so heißt.
2. Ich werde Frauen, die mich mögen, nicht gleich zu Schwulenmuttchen erklären.
3. Ich werde die Hoffnung aufgeben, daß ich Jan-Michael Vincent in der Sauna treffe.
4. Ich werde Poppers nur durch den Mund inhalieren.
5. Ich werde im YMCA nicht länger als eine halbe Stunde unter der Dusche bleiben.
6. Ich werde mir nicht mehr den Kopf darüber zerbrechen, welche Farbe mein Signaltuch hätte,
wenn ich eines tragen würde.
7. Ich werde irgendwann eine Tucke jenseits der Fünfzig zu einem Drink einladen.
8. Ich werde die stille Hoffnung aufgeben, daß sich alle atttraktiven Männer als hirnlos und
langweilig herausstellen.
9. Ich werde im Glory Holes mit meinem richtigen Namen unterschreiben.
10.Ich werde mich langsam wieder an die Religion herantasten, indem ich in der Grace
Cathedral Konzerte besuche.
11.Ich werde mich dabei allerdings nicht an die Männer in der Grace Cathedral herantasten.
12.Ich werde bei der Wahl zur schwulen Miss San Francisco niemandem meine Stimme geben.
13.Ich werde mich mit einem Hetero anfreunden.
14.Ich werde mich nicht darüber lustig machen, wie er geht.
15.Ich werde ihm nichts von Alexander dem Großen, Walt Whitman oder Leonardo da Vinci
erzählen.
16.Ich werde keinem Politiker meine Stimme geben, der den Begriff "schwule Gemeinde"
benutzt.
17.Ich werde nicht flennen, wenn Mary Tyler Moore ihre letzte Show hat.
18.Ich werde meinen nicht abmessen, ganz egal, wer mich danach fragt.
19. Ich werde das Jacutin nicht mehr verstecken.
20.Ich werde kein Lacostehemd kaufen, kein Marmekkokissen, keine gebrauchte Ehrenjacke
für Sportler, kein All- American- Boy- T- Shirt, keine Halskette mit Rasierklinge dran und
schon gar nicht irgendetwas aus Jeansstoff.
21.Ich werde lernen, alleine zu essen und es zu mögen.
22.Ich werde in meiner Phantasie nicht mehr mit Feuerwehrmännern rumspielen.
23.Ich werde zu Hause keinem erzählen, daß ich bloß noch nicht die Richtige gefunden habe.
24.Ich werde auf der Castro Street im Anzug herumlaufen und damit keine Schwierigkeiten
haben.
25.Ich werde weder Bette Davis noch Tallulah Bankhead noch Mae West und auch nicht Paul
Lynde nachmachen.
26.Ich werde pro Abend nicht mehr als ein It´s- It essen.
27.Ich werde mich ganz passabel finden.
28.Ich werde jemand Netten kennenlernen, und zwar weit weg von einer Bar oder der Sauna
oder einer Rollschuhbahn, und ich werde mich hoffnungslos, aber ganz konventionell in ihn
verlieben.
29. Ich liebe Dich! werde ich aber erst sagen, wenn er es schon gesagt hat.
30.Den Teufel werd ich tun.

Mary Ann legte das Blatt weg und sah Michael an. "Du hast dreißig Vorsätze. Warum darf ich nur zehn haben?" Michael grinste.
"Du hast es nicht so schwer im Leben."
"Was du nicht sagst, du schwules Chauvischwein!"
Sie rückte der Valentinskarte mit einem Flair- Filzstift zu Leibe und kritzelte die ersten vier Leerzeilen voll. "So, jetzt zieh dir das mal rein!"

1. Ich werde dieses Jahr den Richtigen kennenlernen.
2. Er wird nicht verheiratet sein.
3. Er wird nicht schwul sein.
4. Er wird nicht in Kinderpornos machen.

"Aha", sagte Michael mit einem verschmitzten Lächeln. "Du gehst also nach Cleveland zurück, hm

Sonntag, Februar 26, 2006

Tales of the city

Ein paar Minuten später stand Michael vor der Tür, in der einen Hand den Scheck für die Miete, in der anderen Boris.
"Ich hab ihn auf dem Fenstersims entdeckt", sagte er. "Er hat leicht selbstmordgefährdet ausgesehen."
Die Vermieterin schaute die Tigerkatze finster an. "Wohl eher mordsgefährlich. Er war wieder hinter den Vögeln her. Läßt du ihn bitte runter, mein Lieber? Ich kann es nicht ausstehen, wenn sein Atem nach Eichelhäher riecht."
Michael ließ die Katze los und reichte Mrs. Madrigal den Scheck. "Tut mir leid wegen der Verspätung. Wieder mal."
Sie tat seine Bewegung mit einer Handbewegung ab und steckte den Scheck hastig in ein halb gelesenes Buch mit Geschichten von Eudora Welty. Sie fand es gräßlich, mit ihren Kindern über Geld zu reden. "Ach so", sagte sie, "was machen wir mit Mary Anns Geburtstag?"
Michael zuckte zusammen. "Oh Gott. Ist es schon soweit?"
Mrs. Madrigal lächelte. "Nach meiner Rechnung nächsten Dienstag."
"Sie wird doch dreißig, oder?" Michaels Augen glitzerten diabolisch.
"Wie sollten das wohl besser nicht betonen, mein Lieber."
"Erwarten Sie von mir nicht, daß ich mich gnädig zurückhalte", sagte Michael. "Mit meinem Dreißigsten hat sie mich voriges Jahr erbarmungslos getriezt. Außerdem ist sie hier im Haus die letzte, die über die große Schwelle tritt. Da ist es nur normal, wenn wir das Ereignis gebührend feiern."
Mrs. Madrigal warf im ihren "Du ungezogener Junge!"- Blick zu und ließ sich in den Lehnstuhl am Kamin sinken.
Boris witterte eine neue Chance, sich malerisch in Szene zu setzen, sprang auf ihren Schoß und blinzelte träge ins Feuer.
"Kann ich dich für einen Joint interessieren?" fragte die Vermieterin. Michael schüttelte lächelnd den Kopf. "Danke. Ich komm so schon zu spät zur Arbeit."
Sie lächelte ebenfalls. "Dann grüß Ned schön von mir. Dein neuer Haarschnitt sieht übrigens toll aus."
"Danke", sagte Michael strahlend und wurde leicht rot.
"Es gefällt mir, wenn man deine Ohren sieht. Du wirkst dann richtig jungenhaft. Gar nicht so, als wärst du schon jenseits der großen Schwelle."
Michael bedankte sich mit einer kleinen eleganten Verbeugung.
"Los jetzt", sagte die Vermieterin. "Laß tausend Blumen blühen."

Samstag, Februar 25, 2006

Kurt Tucholsky Kleine Geschichten

Bei der Urlaubsplanung für den nächsten Sommer bin ich auf folgendes gestossen:


Eine schöne Dänin
»Daß die Leistungsfähigkeit der Kühe unter diesen Umständen sehr gering war«, stand in dem schönen Führer durch Dänemark, den man mir freundlicherweise im Außenministerium gegeben hatte, »ist selbstredend. Die durchschnittliche Milchleistung pro Kuh –« Gut. Wovon aber gar nichts in diesem Buche zu lesen war, das waren die Frauen des Landes.
Nordische Frauen –! Was habt ihr doch für einen falschen Ruf! Da heißt es von der Französin, sie sei locker, kokett, der Liebe ergeben, und was weiß ich. Und ist doch das treueste Heimchen am Herd, das sich denken läßt – es gibt keinen Frauenberuf in Frankreich – keinen! Oh, ihr nordischen Schwestern – in dem das nicht zu spüren wäre. Ihr hingegen .... Das ist ein weites Feld.
Guten Tag, Kopenhagen! Wohlschmeckend schritten die jungen Damen dahin und guckten Esperanto und sprachen ihre Sprache. Wenn die Dänen das, was sie zu sagen haben, auf Schilder gedruckt dem Fremdling entgegenhielten, ließe es sich allenfalls erraten – soviel Plattdeutsch und Englisch verstehen wir auch bei Regenwetter. Zum Sprechen eignet sich die dänische Sprache weniger – sie zerschmilzt den Hiesigen auf der Zunge und eilt leichtsilbig dahin, und alles ist ein einziges Wort, und es ist sehr schwer. Und wenn man also im »Fiske-Restaurant« gar nichts sagt, bekommt man zu viel zu essen, und wenn man etwas sagt, erstickt man in kalten und warmen Speisen; und ich glaube: wenn einer richtig Dänisch kann und etwas bestellt, dann bekommt er den Wirt in Gelee. Gott segne die dänischen Kalorien.
Ja, die Frauen .... Ich war den ganzen Tag herumgelaufen und freute mich auf den Abend. Für den Abend hatte ich mir etwas ausgedacht. Da stand an einem Tanzlokal – soviel konnte ich lesen –, daß da also getanzt werden würde und daß da zwei Orchester spielten, und dann:
INGEN PAUSER.
»Ingen« – das war wohl die dänische Form für »Inge« –, welch ein schöner Name! Ingen Pauser .... Wie mochte sie aussehen? Lang, weiß, schlank, blond – mit einer Schnuppernase und fest im Fleisch. Ja, das wollten wir also wohl einmal sehen.
Inzwischen war Lange Linie zu besichtigen und im Hafen herumzufahren, und es waren alle jene netten Überflüssigkeiten zu exekutieren, die im Führer stehen. Nach der vierten begann ich zu schwänzen ... es war viel amüsanter Klatsch zu hören und den Nebel, in dem die dänischen Berühmtheiten für uns dahinschreiten, sich zerteilen zu sehen – und siehe da: da hatten sie hochgeschnürte kleine Provinzbusen und lispelten und schielten und waren dreimal geschieden, und ein Glitzerwerk von Ironiegeflitter ging über die Armen dahin, vor denen ich zu Hause, vor dem Bücherschrank, so eine große Hochachtung gehabt hatte. Richtig – Inge!
Ich würde nach den ersten Formalitäten »Inge« sagen – »Ingen«, das ist nichts. Wenn sie einen Funken Nettigkeit im Leibe hat, besitzt sie eine Tante auf Jütland. Wir wollen nach Jütland fahren – in Kopenhagen ist sie vielleicht zu bekannt. In Jütland soll eine kleine Stadt dastehen mit einem Backsteinkirchturm und abendlich erdunkelnden Bäumen auf dem Marktplatz .... Vor dem Schlafengehen spazieren wir ein bißchen durch die Sträßchen und Straßen und dann einen Feldweg entlang, und Inge erzählt von ihrer Schwester, die in Amerika lebt, und von einer Reise nach London - dann blinzelt der erste Stern herunter, und dann sagen wir gar nichts mehr ....
Ja, sie kann Deutsch. Natürlich kann sie Deutsch. Sie spricht es auf diese entzückende Art, in der es hier viele Leute sprechen: lehrreich und bezaubernd falsch. »Soll ich das Essen heißen?« fragen sie, und – warum soll man das eigentlich nicht sagen? Wenn es »erwärmen« gibt - warum soll es nicht »heißen« geben? Und sie sagt mir: »Kopenhagen ist selbstfroh«, was wohl so etwas wie »mit sich zufrieden« bedeutet – und es tut den Ohren und allen Sinnen wohl, Deutsch auf eine so neue und so überraschende Art zu hören. Es ist, wie wenn jemand die Sprache neu zu schaffen unternähme .... Schmeckt ihr Kuß salzig? Das werden wir ja sehen. Das werden wir ja alles sehen –
Das Gold auf dem Rathaus erglänzt im letzten Sonnenlicht. Aus den Schaufenstern der Kinos blicken geschmalzte Photographien auf die Straßen, und die Gesichter der Stars sehen süß und fett aus wie die dänischen Kuchen, und vor dem Tivoli steht ein Mann und singt ein Lied, das ich schon einmal gehört haben muß .... »B.Z.«, sagt er –
Und im Tivoli hängt in den Bäumen die Sehnsucht aller dänischen Matrosen, die gerade auf hoher See sind, »Tivoli«, denken sie, wenn sie in die Wanten klettern, und »Tivoli« in den Kohlenbunkern und »Tivoli« auf demBroadway .... Und hoch oben, gegen den hohen blauen Abendhimmel, steht ein deutscher Artist im weißen Trikot, bereit, zu einem Looping abzuspringen: »Achtung!« ruft er – und da lachen Leute vor einem Freilicht-Kino, und da kreischen sie auf der Rutschbahn .... Und ich denke an Inge. Ingen Pauser –
Und bei Vivel wedeln die Kellner ungeduldig mit den Servietten, und wenn jetzt der Oberkellner mit dem Finger winkt, dann ergießt sich aus dem doppeltgeöffneten Tor eine ganze Heringsflottille hervor, man möchte ein Hering sein, nur um zu wissen, wie ein dänischer Magen von innen aussieht, es ist nicht vorstellbar.
Jetzt aber ist es neun Uhr, und nun will ich zu Inge gehen. Ja, und wenn wir in der jütländischen Stadt angekommen sind, dann soll aus dem geöffneten Fenster der kleine Walzer »Allways« herausklingen, das denke ich mir besonders hübsch, und dabei wollen wir einschlafen. – –
Schade. »Ingen Pauser« ist kein Name. Es heißt »Keine Pause« – und pausenlos spielen die beiden Orchester in dem Tanzlokalchen, es ist gar keine Inge da, und auf leicht nach innen gesetzten Füßen stiefle ich ins Freie, sanft begossen vom Schein des Mondes und einer umsonst geliebten Liebe.
1927

Dienstag, Februar 21, 2006

bonjourtristesse

bonjourtristesse


Ein paar Meter vor uns schaukelte ein Boot, unser Badeboot -- das Wasser gluckste leise gegen das Holz, auf und ab, auf und ab... Wenn man die Hand ins Wasser hielt, gab das ein winziges Kältegefühl, dann zog man sie wieder heraus, und dann trockneten die Tropfen in der Luft. Ich rauchte einen Grashalm, die Prinzessin hielt die Augen geschlossen. »Heute ist vorgestern«, sagte sie« Das war so ihre Art der Zeitrechnung; da wir übermorgen fortfahren wollten, so war heute vorgestern.

Hilfe, es wird Frühling!